Eine kräftige Erektion ist kein Liebesbeweis
- Christian Scharl

- 1. Aug.
- 3 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 21. Aug.

Immer jünger, immer stiller: Wenn der Penis plötzlich nicht mehr mitmacht
Vor gut 20 Jahren, waren die Männer mit Erektionsproblemen in der Regel über 50. Vielleicht ein bisschen aus der Form, hormonell nicht mehr ganz auf der Höhe, in einer Ehe, in der das Miteinander mehr Routine als Reibung war. So weit, so klassisch.
Heute sitzen 30-Jährige in meiner Praxis. Manchmal 25-Jährige. Und gelegentlich sogar Männer, die noch keine drei Jahrzehnte auf dem Buckel haben. Gut aussehend, sportlich, reflektiert – und verzweifelt. Weil ihr Penis nicht mehr so funktioniert, wie sie es von ihm erwarten. Und weil sie keine Ahnung haben, warum das so ist.
Sie sagen Dinge wie:
„Das war doch früher nie ein Problem.“
„Ich bin doch geil – aber der da unten checkt’s nicht.“
„Ich bin 28, Christian. Was soll denn in 20 Jahren sein?!“
Sie schämen sich. Sie reden ungern drüber. Und wenn sie dann doch in meine Praxis kommen, dann meist erst nach einem langen inneren Kampf und mit der Hoffnung, dass ich ihnen „irgendwas geben kann, damit es wieder funktioniert“.
Spoiler: Ich gebe ihnen in der Regel nichts, was sie funktionieren lässt. Aber ich begleite sie dabei, sich und ihren Penis neu zu verstehen.
Und ja – die Zahlen geben dieser Beobachtung recht.
In einer Studie aus 2024 wurde dokumentiert, dass sich die Zahl junger Männer mit Erektionsstörungen in manchen Kliniken ver30facht hat. Besonders deutlich sichtbar wird das bei Jugendlichen und Männern zwischen 18 und 30. Auch andere Studien schätzen, dass inzwischen bis zu 30 % der Männer unter 40 von Potenzproblemen betroffen sind. Und: Die Dunkelziffer ist hoch. Männer schweigen lieber, als sich „minderwertig“ zu fühlen.
Das Tragische daran: Viele dieser Männer sind körperlich gesund. Und das bringt uns zum nächsten Punkt.
Was ist eine Erektionsstörung überhaupt?
Wenn wir von erektile Dysfunktion, Impotenz oder Potenzstörung sprechen, ist nicht die gelegentliche Schlappheit gemeint, die jeder Mann mal kennt. (Die ist völlig normal. Ehrlich.) Sondern die andauernde oder wiederholte Schwierigkeit, eine Erektion zu bekommen oder sie ausreichend zu halten – über einen Zeitraum von mindestens sechs Monaten hinweg.
Und zwar so, dass erfüllender Geschlechtsverkehr kaum oder nicht mehr möglich ist.
Für viele Männer fühlt sich das an, als wäre der Stecker gezogen worden – im wahrsten Sinne des Wortes.
Ein paar Beispiele aus der Praxis:
„Die Erektion kommt, aber geht schneller als der Pizzabote.“
„Es passiert einfach… gar nichts. Da ist Lust im Kopf, aber der Körper sagt: nein.“
„Oder sie beginnt, macht Hoffnung – und verabschiedet sich dann mitten in der Bewegung.“
Was das konkret bedeutet?
Penetration ist nicht möglich.
Auch mit der Hand oder dem Mund stößt man schnell an Grenzen.
Für viele Männer fühlt sich das Ganze körperlich enttäuschend an – Wie eine Party, auf die man sich gefreut hat und die dann abgesagt wird, sobald man in der Tür steht.
Und trotzdem:
„Die Einschränkungen beim Sex sind meist das geringste Übel.“
Denn das, was eine fehlende Erektion mit dem Selbstbild, dem Selbstwert und der Identität eines Mannes macht, sitzt oft viel tiefer als man denkt.
Doch bevor wir dorthin gehen, schauen wir noch kurz auf den Körper.
Körperliche Ursachen? Immer zuerst klären – aber selten die Ursache
Ich bin kein Arzt, aber ich arbeite eng mit ihnen zusammen. Und ich empfehle jedem Mann mit anhaltenden Erektionsproblemen, zuerst ein paar medizinische Dinge abzuklären.
Dazu gehören:
Bluthochdruck
Durchblutungsstörungen
Testosteronmangel
Diabetes mellitus
Nebenwirkungen von Medikamenten (z. B. Antidepressiva, Betablocker)
Diese Dinge kann und sollte man beim Urologen oder Hausarzt anschauen lassen.
Die Gute Nachricht: In über 90 % der Fälle finden sich keine organischen Ursachen.
Was bleibt, ist der Kopf. Oder besser gesagt: die Psyche, das Nervensystem, die Erwartungen, der Leistungsdruck. Das alles wirkt mit, oft unterschwellig – und genau das macht Potenzstörungen so tricky. Sie entziehen sich der reinen Logik.
Man kann keine Tablette gegen zu hohe Erwartungen schlucken.
Oder ein Pflaster gegen die Angst, zu versagen.
Doch man kann lernen, hinzusehen. Und genau da machen wir im nächsten Teil der Serie weiter:
👉 Vorschau auf Artikel 2:
„Potenz – wenn Männlichkeit unter Druck gerät“
Warum der Penis oft zum Indikator für männlichen Selbstwert wird, was das mit der Angst, nicht zu genügen, zu tun hat, und warum „nicht eindringen können“ nicht nur körperlich, sondern auch emotional weh tut.
🔎 Und wenn du dich beim Lesen ertappt fühlst...
… vielleicht, weil dein Penis gerade nicht tut, was du von ihm erwartest,
… oder weil du jemanden kennst, dem es so geht,
… oder weil du denkst: „Ja, das kenne ich. Aber ich hab’s bisher niemandem erzählt“ –
Dann darf ich dich einladen:
In meiner Praxis biete ich sexologische Begleitung für Männer (und Paare) an, die sich ihre Sexualität zurückholen möchten – ohne Druck, ohne Scham, aber mit Neugier, Verständnis und einem offenen Ohr.

